Gemeinnützige Stiftung für Philosophie

Identity Edition, Band 6 : »Philosophische Exkursion MORGENLAND - Auf der Suche nach der verlorenen Weisheit«

von Rainer Zimmermann / Amir Ahmad Nasr


Gibt es so etwas wie Philosophie und abendländisches Denken in der arabischen Welt? Der Blick auf die Ölstaaten der arabischen Halbinsel wird geprägt von schwer verständlichen Gegensätzen. Einerseits die unbedingte Faszination gigantischer Turmwelten wie in Doha oder Dubai mit stark »westlichem« Alltag, großartigen Museen wie in Katar und pompösem Opernhaus in Maskat, Oman – auf der anderen Seite gnadenlose Rigidität im Glauben wie in Saudi-Arabien und auch gegenüber den oft unter sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigten »Gastarbeitern«. Lassen sich diese Widersprüche verstehen – oder muss man sie einfach nur hinnehmen als Teil eines »verrückten« Evolutionsprozesses in die Moderne? In seinem Essay »Identität und Fortschritt in der arabischen Kultur« lädt der Kommunikationswissenschaftler Rainer Zimmermann zu einer Denkbewegung ein, die zwischen dem Schauen von außen und dem Sosein des Vorgefundenen eine neue Beziehung herstellt. Seine Eindrücke einer Exkursion nach Katar und Oman lassen erahnen, wie die Wirklichkeit, die sich dem Betrachter vermittelt, auch davon abhängig ist, was das Betrachtete, Menschen, Gedanken, Lebensvollzüge, von sich preiszugeben bereit ist. Wo Öffentlichkeit klaren Formen folgt und Individualität dem fremden Besucher in subtilen Nuancen begegnet, vermitteln sich Kultur und die ihr zugrundeliegende Weisheit vor allem in ihrer Wirkung, die sie auf den Wahrnehmenden ausüben. Ein Grenzgang, der neue Einsichten ermöglicht und scheinbar unverständliche Eigenheiten der arabischen Welt in einen neuen Kontext stellt.


Doch wie steht es um die universale Dimension dieser Wirklichkeit, die Weisheit vor allen Unterschieden und Grenzlinien zwischen den Kulturen? Dieser Frage geht der im Sudan geborene Blogger Amir Ahmad Nasr in seinem Essay »Deutschland, die arabische Welt und der Raum dazwischen« nach. Aufgewachsen in Katar und Malaysia gewährt Nasr Einblicke in die arabisch-islamischen Geistesbewegungen, die seit einigen Jahren von einer jungen Generation von Denkern initiiert werden und neue Einflugschneisen für interkulturelles Verstehen und eine global gedachte Zukunft bahnen. Diese Aktivisten richten ihre Kritik ebenso gegen verkrustete Traditionen wie gegen moderne Voreingenommenheiten. Dabei betrachten sie Orient und Okzident nicht als voneinander abgegrenzte Gebiete, sondern als geistige Bewegungen, die sich berühren können. So schaffen beide Aufsätze unerwartete Zugänge, die im besten Sinne zu öffnen vermögen – für das Eigene wie das, was zunächst fremd scheint; für das, was ist, wie auch für das, was werden könnte.


(Der Band ist vollständig zweisprachig dt./engl.)